„35 x 89“ auf Radio Blau – Hörkunstcollage von Maria Schüritz und Ingeborg Freytag

Radio Blau sendet unseren Live-Mittschnitt am 2. Februar 2025 von 20.00 bis 22.00 (ja, es dauert zwei Stunden)! Willkommen! Ich freue mich selber drauf, mich noch mal hinzusetzen und mir das Ganze in Ruhe anzuhören, nachdem wir hoffentlich nächste Woche die Postproduktion erfolgreich beenden.

Und ja, Radio Blau sendet auch ganz oldschool in Leipzig auf UKW 😉 UKW 99,2, 94,4 und 89,2 MHz

Wir planen weitere Aufführungen – fällt dir was ein, schreib mir. An den Premierenabenden wurde aus dem Publikum mehrfach angeregt, wir müssten unbedingt auch „im Westen“ spielen. Das sagten Menschen unterschiedlichen Alters und sowohl ost- als auch westsozialisiert. Da wäre ich jetzt ganz guter Dinge, dass wir tatsächlich wesentliches zu erzählen haben. Und damit es nicht einmal zuwenig gesagt wurde: Danke! Danke an die Zeitzeuginnen, die Geschichten/ Gedanken/ Gefühle mit uns teilten und danke an die jungen Leute von der Theaterakademie Sachsen, die sich mit uns gemeinsam auf dieses geschichtliche Abenteuer eingelassen haben.

02. Februar 2025, 20-22 Uhr: 35×89 – Engagierte Frauen 1989/90*

„35×89 ist eine Hörkunstcollage. Sie besteht aus Songs und Kompositionen von Ingeborg Freytag und Maria Schüritz, aus Echtzeitmusik, die spontan im Kontakt mit dem Publikum entsteht, aus Elementen aus Zeitzeuginnen-Interviews sowie Sprach- und Klangkunst von Schauspiel-Azubis der Theaterakademie Sachsen. „35×89“ betrachtet den Herbst 1989 multidimensional, indem historisches Material, wissenschaftliche Reflexionen und Statements von mindestens drei Generationen zusammengebracht werden: Teil des Projekts sind Frauen, die die Ereignisse 1989/90 miterlebt und mitgestaltet haben, (Nach)Wendekinder, die in der Atmosphäre des Umbruchs und Systemwechsels aufwuchsen und junge Erwachsene, die heute in dem Alter der damaligen Aktivistinnen sind. „35×89“ hat sich dem künstlerisch überformten Hörbarmachen von weiblichen Perspektiven auf die Friedliche Revolution und der Würdigung von weiblichem Engagement im historischen Kontext verschrieben.“

„35 x 89“ Hörkunstperformance Stadtbibliothek Leipzig 28.11.2025
Maria Schüritz – „35 x 89“ Hörkunstperformance Stadtbibliothek Leipzig 28.11.2025
Ingeborg Freytag – „35 x 89“ Hörkunstperformance Stadtbibliothek Leipzig 28.11.2025

she.spectra als Ankerplatz – „35 x 89“

Wir nähern uns mit Hochgeschwindigkeit, Intuition und Effizienz den letzten Handgriffen für die beiden Premieren von „35 x 89“  Maria fand ein DDR-Kinderklavier. Jacobs Krönung! Die beiden von mir 1983 adoptierten Wurstbüchsen-Shaker der Band „Zwitschermaschine“ werden zu hören sein. Sprachquark von den Azubis der Theaterakademie Delitzsch, neue Songs von Maria Schüritz, neue spoken poetry von Ingeborg, neue Töne, Klangcollagen. Ausschnitte unserer Interviews und Gespräche mit Zeitzeuginnen vom Herbst 89. Die Arbeit geht uns zu Herzen und ans Zwerchfell — eben das wünschen wir dann auch dem Publikum unserer Aufführungen!


Do 28.11.2024 – 19 Uhr
Stadtbibliothek Leipzig, Oberlichtsaal
Spendenempfehlung 5-15€
Sa 30.11.2024 – 14 Uhr
Musikinstrumentenmuseum Leipzig, Zimeliensaal
Eintritt: 5/10/15€

Und ja, es werden Teile meiner thematischen Klavierstücke vom Sommer diesen Jahres zu hören sein. Live eingespielt im Volkstheater Rostock! Es war mal wieder Zeit, die Pianistin in mir hervorzulocken.

Und hier noch etwas Hintergrund: 35×89 – Engagierte Frauen 1989/90. Eine hybride Spurensuche. Hörkunstperformance im Rahmen von „35 Jahre Friedliche Revolution im Jahr 2024“.

„35×89“ ist eine Hörkunstcollage. Sie besteht aus Songs und Kompositionen der beiden Musikerinnen, aus Echtzeitmusik, die spontan im Kontakt mit dem Publikum entsteht, aus Elementen aus Zeitzeuginnen-Interviews sowie Sprach- und Klangkunst von Schauspiel-Azubis der Theaterakademie Sachsen. „35×89“ betrachtet den Herbst 1989 multidimensional, indem  historisches Material, wissenschaftliche Reflexionen und Statements von mindestens drei Generationen zusammengebracht werden: Teil des Projekts sind Frauen, die die Ereignisse 1989/90 miterlebt und mitgestaltet haben, (Nach)Wendekinder, die in der Atmosphäre des Umbruchs und Systemwechsels aufwuchsen und junge Erwachsene, die heute in dem Alter der damaligen Aktivistinnen sind. „35×89“ hat sich dem künstlerisch überformten Hörbarmachen von weiblichen Perspektiven auf die Friedliche Revolution und der Würdigung von weiblichem Engagement im historischen Kontext verschrieben.  

„Unter widrigen Umständen dürfen wir nicht aufhören, immer weiter zu denken und weiter zu fühlen – auch heute“, sagt Ingeborg Freytag. Teil der Performance sind daher auch Widersprüchlichkeiten, Vieldeutigkeiten, die Diversität von Meinungen und die weit verbreiteten Gefühle der Demütigung und Benachteiligung, die durch die historischen Vorgänge ausgelöst wurden.

Die Multimusikerin Ingeborg Freytag (*1965, Geige, Percussion, Gesang, Effekte) war als Leipziger Künstlerin in der Bürgerrechtsbewegung sowie der sich ausformenden Frauenbewegung aktiv. Neben ihren eigenen Erfahrungen hat sie nach wie vor Kontakt zu weiteren 1989/90 politisch und/oder künstlerisch tätigen Zeitzeuginnen und verfügt über historische Materialien (Zeitschriften, Publikationen, Textsammlungen). Die Songpoetin und Musikerin Maria Schüritz (*1985, Gesang, Gitarre, Upcyclophone, Effekte) gehört zur Generation der (Nach)Wendekinder, die in der Atmosphäre eines großen Umbruchs, Systemwechsels und Strukturwandels in Leipzig aufgewachsen sind und nun Fragen an die älteren Generationen haben.           

Eine Hörkunstperformance im Rahmen von „35 Jahre Friedliche Revolution im Jahr 2024“. Das Projekt wird gefördert vom Dezernat Kultur der Stadt Leipzig und den Freundinnen und Freunden der Heinrich-Böll-Stiftung, ist Teil der Plattform she.spectra und wird realisiert in Kooperation der Theaterakademie Sachsen, der Stadtbibliothek Leipzig, dem Musikinstrumentenmuseum, der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ und Radio Blau.    

Danke an alle unterstützenden Menschen und Institutionen! Danke an die Frauen, die mit uns gesprochen haben und uns die Vibes und Informationen gegeben haben, die wir für die Erschaffung einer Arbeitsatmosphäre brauchten. 

 



„Geteiltes Leben – wie viel DDR steckt nach 35 Jahren Einheit noch in mir?“ Beitrag zur Blogparade …

… von Sylvia Tornau. Ein spannender Schreibanlass, dem ich mich gerne hingebe – obwohl ich doch im Moment neben künstlerischen und persönlichen Herausforderungen grade mal so meinen Instagram-Kanal bespielt kriege und gar keine Zeit für so ne Extras habe …. Egal! Jetzt!

Sylvia Tornau ist systemische Therapeutin, Trauma-Coach und Bloggerin. Eine Ostpflanze. Außerdem eine, die immer mal wieder Frauen bewegt und sich von ihnen bewegen lässt. Das Thema korrespondiert in schönster Weise mit meinem aktuellen intergenerationalen Projekt „35 x 89“ (zum 35jährigen Jubiläum des 89er Herbstes in diesem Jahr) – dem Nachfolger von „Zwischenwelten“ mit der Songpoetin und Klangexperimentatorin Maria Schüritz.

Nach meiner Vergangenheit oder den Gründen für mein (nicht unerschütterliches, aber doch zuverlässig immer wiederkehrendes) Selbstvertrauen befragt, gebe ich gerne zu Protokoll: Ich habe einen Staat überlebt. Dazu zwei Währungsreformen, eine internationale Finanzkrise, eine gebrochene Hand und die umfassenden Beschränkungen im Gefolge der Coronapandemie. Am Schöneberger Küchentisch haben wir vor Jahren schon beschlossen, dass ich meiner westsozialisierten Künstlerfreundin die Erfahrung einer alles umwälzenden Veränderung voraushabe. Die Erfahrung, an dieser Umwälzung fühlend und handelnd beteiligt zu sein – also nicht nur umgewälzt zu werden. Sicher – die visionäre Kraft vieler Menschen ist gnadenlos ausgenutzt worden und sicher gab es auch ein nur sehr kurz geöffnetes weltpolitisches Möglichkeitsfenster. Aber selbst dann, wenn ich die eigene Handlungsfähigkeit in der Umwälzung als eingeschränkt erlebt hätte/ erlebe (was ich nicht tue), bliebe doch eins: Egal wie fest, starr, stur und ausweglos eine Situation auch immer sein mag – möglicherweise ändert sie sich in der nächsten Minute grundlegend. Obwohl ich ab Anfang der 80er Jahre zunehmend Teil dieser Veränderung und im Herbst 89 folgerichtig künstlerisch/ politische Aktivistin war, hat sich für mich nach dem „Großen Andersrum“ (danke Duo Sonnenschirm!) nicht viel geändert. Freiberufliche Künstlerinnen und Künstler mussten in der DDR zunehmend unter quasi marktwirtschaftlichen Bedingungen („Einzelkämpfer“) arbeiten – allerdings durften wir diese Tatsache nicht benennen. Heute ist es öfter mal umgekehrt – die Tatsache, dass im Kunstbetrieb die meiste Zeit Solidarität, Vernetzung, Empfehlung und Unterstützung eine Rolle spielen, wird gerne unter den Tisch geschoben. Da lungert sie dann so herum. Unterm Tisch nebenan prügeln sich das Konkurrenzgebot mit der Basisdemokratie, dem Wunsch nach persönlicher Sichtbarkeit und den hierarchischen Verhältnissen im Theater/ Konzerthaus/ Orchesterbetrieb – damals wie heute scharf beobachtet von individueller Eifersucht, Neid, Animositäten, Existenzsorgen und schlichtem Desinteresse. Ich verdanke meiner Ostsozialisation eine für heutige Verhältnisse überbordende Gelassenheit im Umgang mit widrigen Umständen und schwierigen Menschen. Das hat viele Vorteile und einige Nachteile, die ich jedoch nicht als schwerwiegend empfinde. Auf Tour, auch außerhalb Deutschlands oder Europas, ist die Erfahrung des Unterwegsseins in der DDR äußerst hilfreich. Logistische Probleme, klapprige Technik, unpassierbare Straßen, Schmutz in allen Variationen und div. Formen von Tourkoller sind Herausforderungen, die es mit Würde und Eleganz zu meistern gilt. Dass Herausforderungen generell unsere Widerstandskräfte stärken, ist meinem Empfinden nach ein im Deutschland von HierHeuteJetzt nicht aktiviertes bzw. fast ausgestorbenes Wissen. Das gemeinsame Meistern von Herausforderungen stärkt unseren Gemeinschaftssinn und unsere Kommunikationsfähigkeit. Wenn ich mich umschaue und zuhöre, habe ich allerdings manchmal das Gefühl, wir warten alle mehr oder weniger auf das schöne, sorgenfreie, stressarme, unabhängige und sonnige Leben, was uns angeblich vom Universum oder sonstwem versprochen wurde. Zusätzlich wird in Ostdeutschland immer noch auf die „blühenden Landschaften“ gewartet. Dass irgendein blaues Wunder uns der Einlösung des Versprechens näherbringen wird, darf getrost bezweifelt werden. . .

Eine grundlegend abwartende Haltung, ev. auch Misstrauen (hier: nicht vorab vertrauen, sondern den Beweis für Vertrauenswürdigkeit abwarten) gegenüber einer Regierung, ihren Unterstützern und Erzwingungsstäben erscheint mir als weiteres Erbe meiner Ostsozialisation. . . Sich unterschiedlich medial informieren, sowohl über die eigene als auch die Propaganda des „Gegners“ (damals „der Klassenfeind“). Lücken suchen, finden und beherzt hineinspringen. Zwischen den Zeilen lesen und sich in der Kunst üben, zwischen den Zeilen zu schreiben, damit auch andere dort etwas lesen können. (Über)Lebensstrategien erproben, teilen und weiterentwickeln. Grade/ aufrecht stehenbleiben. Angst haben und trotzdem denken, fühlen und handeln. Einsamkeit aushalten. Nicht sofort weinend den Raum verlassen, wenn mir mal niemand zuhört und ich anscheinend nirgendwo dazugehöre. Mir und meinem Lebensweg glauben und vertrauen, auch wenn mir grade niemand folgt, mich beklatscht und toll findet. Wenn ich zurückschaue, bin ich immer wieder erstaunt, wieviel individuelles Leben in der DDR möglich war – in diesem angeblich so kollektivistischen Klops, in dem alle im Gleichschritt durch den Sumpf des Mangels marschierten, den persönlichen Spitzel immer im Gepäck. Es gab viel richtiges Leben im falschen.

Ja, ich habe (auch) Glück gehabt. Ja, ich habe Glück. Glückliche Zufälle, glückliche Umstände, glückliche Begegnungen, glückliche Anfänge und glückliche Enden. Ja. Und ich arbeite schon immer (na okay, sagen wir mal seit ich 18 bin) so, wie an den Rändern oder außerhalb Europas der Musikerberuf verstanden wird. Reisen (auch nach innen), musikalische und soziale Impulse seismographisch aufnehmen, verarbeiten und weitergeben, den Menschen zuhören (allen!), Nachrichten und Stimmungen hin- und hertragen, an größere Zusammenhänge erinnern, über das kleine Glück sprechen, Hoffnung haben und verbreiten. Brücken bauen, Spannungen ausgleichen. Auch ohnmächtiger Zorn und blinde Wut sind da. Integrativ denken, fühlen und handeln. Öffentliche künstlerische Arbeit als Verbindungsrituale gestalten. Dankbarkeit/ Berührbarkeit/ Hingabe herausfordern, zulassen und stärken. Mutig fragen und mutig antworten. Sich selbst und anderen (künstlerischen) Raum geben. Dem Raum Zeit geben, sich auszudehnen oder zu bündeln und das Unerwartete/ Ungeformte einladen, sich zu manifestieren, sich eine Form zu geben. Niemandem seine/ihre Verwirrung ausreden wollen, auch mir nicht – und akzeptieren, dass es trotzdem manchmal geschieht.

Bis 1990 habe ich das mehr und mehr einfach gemacht, danach konnte ich es mehr und mehr auch erklären. Und nein, das gelingt mir alles nicht immer. Aber immer öfter.

Natürlich spielt es eine Rolle, dass ich in einem Land geboren wurde, in dem ich nicht sterben werde. Ich fühle mich immer noch seltsam als Emigrantin – eingewandert in ein Land, was ich nie verlassen habe. Ausgewandert aus einem Land, was rein äußerlich ja immer noch existiert – in mir und um mich herum. In dem ich immer noch lebe. Das ist eine äußerst merkwürdige Identität. Ich verstehe zutiefst, dass es Menschen gab und gibt, die nach dem „Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes“ damit Probleme hatten und haben. Das können wir weder leugnen noch wegerklären. Auch wenn ich persönlich eine nationale Identität nicht so wichtig finde. Aber! Und! Mein Leben gehört zu meinem Leben. Ganz und gar. Mein Geburtsort, mein Kinderwald, meine Schule und der Sportplatz, gut ausgeleuchtete Bühnen und finstere Ecken, jeder Zweifel und jede Gewissheit, jede Suche und jede Sackgasse. Der schmerzhafte, tödliche Riss durch das Deutschland der Nachkriegszeit. Der kalte Krieg, die atomare Aufrüstung und die Durchmilitarisierung der Gesellschaft. Selbstwirksamkeit und Selbstehrlichkeit – Vergeblichkeit und Lüge. Menschen – die Musikerfamilie in der ich aufwuchs und lernte, Gefährtinnen und Freundinnen und ein großer Kreis, in dem meine Arbeit, meine Musik, meine Gedanken und Bewegungen wahrgenommen und begleitet wurden. Gastfreundschaft, Gesprächsangebote und Unterstützung von völlig Fremden. Menschen, die ihre Seele und andere Menschen verkauften und verrieten, um ein paar alltägliche Vorteile, ein bisschen klägliche Macht oder schlicht Bestätigung/ Aufgehobensein zu erlangen.

Was aktuell zu meinem Leben gehört, erfährst du in meinen anderen Blogartikeln. Heute mal keine Fotos. Danke für’s Lesen!

#geteiltesleben

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