Die Fangarme des Alltags

Ich kann es ja aber eben auch nicht lassen: Telefonate wegen Delia’s Nachlass, Rundmails zum Gedenken und lange aufgeschobene Kontaktaufnahmen wegen meines Soundcollagen-Albums (der nächste Plan nach dem Akustik-Album, was wir grade mixen) und einer ev. Neuauflage von „LOHARANO – german malagasy song project“. Probenorganisation, Roadmanagement, Anfragen und Absagen und und und und. Und natürlich kümmert es mich, warum es der Oder so schlecht geht und warum unsere oberste Diplomatin Diplomatie für sinnlos hält. Naja. Mit dem Endsieg kennen wir uns ja aus.

Einzige Lösung für Arbeitsaufenthalte: digitale Endgeräte konsequent zuhause lassen und sich im absoluten Funk- und Netzloch einmieten. Oder doch noch zur superdisziplinierten, einzig ihrer Kunst verpflichteten Autistin, äh Künstlerin mutieren. Nein, ich finde das nicht doof – eigentlich bin ich neidisch. Könnte ein Plan fürs nächste Leben sein. Allerdings bin ich nicht 100% sicher, dass ich dazu nicht auch männlich sein muss. Ob’s mir das wert ist, hm.

So, jetzt hab ich erstmal eine warme Jacke und Emmas pinkfarbene Wollsocken angezogen. Bei frischen 21 Grad Außentemperatur ist es im Haus dann auch frisch. Allerdings hat die Sonne sich jetzt doch für Anwesenheit entschieden, ich werde mal eine Rahmentrommel-Übungseinheit einlegen und dann einen Spaziergang durch die Felder machen.

Schul- und Bethaus Altlangsow – Blick von der Empore in die große Ausstellungshalle

Zwischen Ruhe und Verwandlung

Trumpf No VII – Der Wagen. Die Transformation geschieht immer aus dem Innehalten, dem meditativen Empfangen heraus. Den richtigen Moment erfassen. Das ungestüm vorwärtsdrängende oder auch ängstlich zu lange abwartende EGO beiseite lassen. Sich der Führung anvertrauen. Ungeduld bewirkt da leider gar nix. Aber ja doch, das weiß ich. Wo doch immer alle denken, ich wäre sooo geduldig und täte den ganzen Tag so in mir ruhen. Wie sehr ich dafür empfänglich bin, die Bilder die andere Menschen von mir haben, in mein Selbstbild aufzunehmen – ach du ahnst es nicht. Phhhh. Dass ich angeblich fürs Bilder integrieren mehr oder weniger unempfindlich bin, gehört zu den Bildern. Ha. Ja DU, so jubelt mich manche(r) an, DU —- DU bist eben kompromisslos. Sag ich, nein: Ich tue die Dinge nicht so wie ich sie tue, weil ich kompromisslos bin. Ich tue sie so, weil ich es eben NICHT bin. Weil das gradeaus (auf dem Weg vor mir) und grade runter (in die Tiefe) bei mir bleiben mir sehr hilft, wenn ich anfange in fremden Bildern zu denken und zu fühlen – was ich gerne tue, um zu verstehen, was die andere Person bewegt. Weil ich gerne Impulse aufnehme und mich manchmal auch darin verliere. Weil meine Halteseile immer aus Zweifel UND Gewissheit bestehen. Weil ich kaum in der Lage bin, etwas oder jemanden ausschließlich gut oder böse zu finden. Und weil ich gnadenlos mitfühlend bin, wenn ich sehe, dass eine Person mit einer Situation noch schlechter zurecht kommt als ich. Das ist prima, weil ich dann helfen kann und das, wir wissen es alle, heilt den eigenen Schmerz in Lichtgeschwindigkeit. Und, nicht vergessen, wir leben in einer Welt, in der als clever und cool gilt, wer dem Rad des Schicksals in die Speichen greift. Egal wie schnell es sich dreht. Wie bekloppt.

Im Oderbruch

Apfelbäume im Garten. Drei verschiedene Sorten, alle köstlich. Es lebe die Vielfalt! Das Spatzenvolk hockt in den angrenzenden Büschen und bearbeitet Spatzenthemen. Ich lese in einer Erstausgabe von „Der Meister und Margarita“ aus der gut ausgestatteten Bibliothek hier im Haus – immer wieder erstaunlich, der Russe Bulgakow schrieb den Roman von 1928 bis 1940. Wieviel Witz und Klarheit es doch in einer Diktatur geben kann. In der DDR verglichen wir natürlich Stalins Überwachungsstaat mit dem unseren. Ein natürlich unzulässiger Vergleich. Ein Freund nannte in den 90ern seinen Kater Behemoth. Behemoth ging jeden Tag die 5 Stufen des Souterrains hinauf in den Garten, setzte sich unter eine Babyfichte und meditierte. Nach einer Stunde kam er wieder herein. Allerdings lief er nicht auf den Hinterbeinen wie der Romankater und war auch nicht der Gehilfe von Professor Voland (dem Teufel) und hatte auch sonst wenig Ähnlichkeit mit dem Kater im Buch. Ziemlich sinnlos also, die Namensgebung. Naja. Obwohl.

Ich spiele Rahmentrommel, hier in dem großen Raum mit Tonnengewölbe aus Holz klingt es natürlich genial! Obwohl ich die Hälfte vergessen bzw. auf der Reise verloren habe, konnte ich doch mein Miniaturstudio in Gang bringen und nehme immer mal was auf. Das Haus ist kühl, obwohl draußen immer noch 29 Grad sind und das versprochene Gewitter sich ziert.

Nichts. Ab und an ein Auto, die Post. Ein bellender Hund. Ein Nachbar, der (leise) Radio hört. Ein Hahn. Ich singe.

Abschied nehmen Zwei

So langsam ziehe ich mich wieder heraus aus dem tiefen Grün. Zuhause wartet mein Soloalbum, Bilder sind zu bearbeiten, und ja die Steuererklärung und mich immer wieder lange genug öffnen, damit eine Melodie ein Text ein Bild ein Wort zu mir durchkommen können. Das nennt sich Kreativität, glaub ich. Eher ein Zulassen.

Wie lang und dunkel der Schatten war, über den du jedes Mal gesprungen bist, wenn du mir nahe sein wolltest – was weiss ich denn schon. Danke.

Abschied nehmen

Habe geduscht, Haare gewaschen, Kopf und Körper eingeölt, gewartet bis das Öl eingezogen ist. Dann eine kleine Runde gefahren und den Tälerpilgerweg/ Pillingsdorf entdeckt. Erst vorgestern ging mir auf, dass ich nur 10 Kilometer von Delias Geburts-, Kinder- und Jugendort entfernt bin. Nun sitze ich im McDonalds im Autohof Hermsdorf – hier gibt es 3 Stunden Internet für lau, äh für meine Daten, und vor allem Strom für mein armes altes iPad. Und MangoAnanasSmoothie. Zum Weinen ist mir nicht, ich habe vor 24 Jahren allerdings viel geweint. Um mich, um sie und eine grosse Liebe. War gut, jetzt die paar Tage in grüner Einsamkeit zu verbringen, den Bildern zu erlauben, zu kommen und zu gehen, zu träumen und zu trauern und die Lehren zu empfangen, die der Tod immer dabei hat. Alter Schmerz ist nur dann Teil meiner Identität, wenn ich ihn einlade, es zu sein. In jedem Moment der Zeit kann ich neu anfangen.

Auf in die Gegenwart, das lebendige Jetzt und die Musik von morgen!

Naja, mit der Soletherme fange ich erstmal an.

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