Künstler sind die Seismographen der Gesellschaft

Sagte meine verehrte Gesangsprofessorin Gloria Kolbach immer mal wieder gerne. Das war Ende der 80er und wenn es immer noch stimmt, dann ziehen sich in meiner/ unserer Wahrnehmung die Kommunikationsmöglichkeiten grade schmerzhaft zusammen und dem ist nur durch beherztes Eingreifen beizukommen. Dass vor 30 Jahren (und bis heute) Westdeutsche Ostdeutschen überwiegend nicht zugehört haben, heisst ja nicht, dass das so bleiben muss. Dass die Kommunikation innerhalb der Herkunftsfamilie schwierig sein kann, bedeutet nicht, dass es generell keinen Austausch zwischen den Generationen gibt. Dass ich eingeschränkt bin, wenn mir die gemeinsame Sprache mit meinem Gegenüber fehlt, ist meistens nicht der Grund für Missverständnisse. Dass die Menschen in Europa immer mal wieder gerne ihren „inneren Kolonialherren“ auf’s Parkett stellen und demzufolge erwarten, dass der ganze Rest der Welt die Dinge so tut, wie sie selbst es richtig finden, ansonsten für ihre Bedürfniserfüllung zuständig ist, die Klappe hält und ihnen nicht durch Anders-Sein Angst einjagt …. naja. Which Side Are You On? (Das Lied wurde übrigens von Florence Reece geschrieben, der Frau eines Gewerkschafters der United Mine Workers – der gelernte DDR-Bürger kennt es von Pete Seeger.)

„Inter-Be-Ing“ Qazal Tabandeh/ Friederike von Oppeln/ Ingeborg Freytag

In diesem Sinne war unser Projekt „INTER-BE-ING“ für mich ein Zeichen der Hoffnung. Und Ausdruck der Möglichkeiten in einem scheinbar endlosen Raum voller Unmöglichkeiten und immer neuen Definitionen von „UNMÖGLICH“. Wir hatten an beiden Abenden ein mutiges und aufgeschlossenes Publikum, was sich mit uns auf das Abenteuer des intensiven Augenkontaktes und dessen Übersetzung in eine musikalische Sprache/ mehrere musikalische Sprachen einlassen wollte. Ich war in der komfortablen Situation, am ersten Abend selbst spielen und am zweiten Abend „auf dem Stuhl gegenüber“ Platz nehmen zu können. Was für eine Begegnung mit meinen KollegInnen! Wow! Und ich war in der komfortablen Situation, sehr direkt und kurz danach Feedback von einem Gegenüber zu bekommen mit einer ausführlichen und berührenden Schilderung dessen, was unsere Interaktion und mein Spiel geöffnet und bewegt hatte. Danke dafür! Ich bin immer sehr glücklich, wenn es mir gelungen ist, in eine intensive Verbindung zu kommen zu der Geschichte, die ich erzählen will oder besser, die von mir erzählt werden will. Das ist genaugenommen die größte Freude. Energie bewegen. Sie ins fließen bringen. Ihr neue Räume geben. Informationen aufnehmen. Zusammenhänge hörbar machen. Spontan komponieren. Die Verbindung verlieren. Hören. Fühlen. Neue Fäden finden und halten. Sich führen lassen.

„Inter-Be-Ing“ Qazal Tabandeh/ Friederike von Oppeln/ Ingeborg Freytag
„Inter-Be-Ing“ Qazal Tabandeh/ Torsten Pfeffer/ Johannes von Buttlar

Und ein Zwischenruf aus dem 3. Kellergeschoss. Um zu verstehen, welche intensiven Gefühle und Bindungen ein Krieg erzeugt, ist es hilfreich, sowohl Erich Maria Remarque als auch Ernst Jünger zu lesen. Im Westen nichts Neues UND Feuer und Blut. Und ja, ich habe als junge Frau Waffe getragen und ich habe sie auch benutzt. Das kann ich immer wieder tun, wenn es not-wendend ist. Trotzdem möchte ich nicht vergessen: Nein, es gibt es nie nur eine einzige alternativlose Strategie gegen überbordende und überwältigende Gewalt.

Life is more fascinating than death.

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