Ja, ich muss mich grad sehr zusammennehmen, um nicht zu glauben, es wäre völlig sinnlos, hier etwas zu schreiben. Und nein, ich höre nicht auf zu arbeiten. Ich habe vor kurzem ein Stipendium erhalten und wenn es mir gelänge, einfach nur Künstlerin zu sein und alles andere direkt vor meiner Studiotür fallen zu lassen … hm, wäre prima, geht aber nicht. Ich tue das, was ich schon immer tue. Zuhören. Meine ganze Kindheit und Jugend sehe ich mich in den Künstlergarderoben (heute Backstage) „rückwärts aufm Stuhl mit der Lehne nach vorn“ sitzen und zuhören. Den Geschichten der ArtistInnen über die Klubs auf der Reeperbahn und den Straßenverkehr in Kairo. Den Erzählungen der Männer von Widerstand und bitteren Niederlagen „bei der Fahne“ (der NVA). Anekdoten über Parteisekretäre, die sich aufführten wie Gutsherren und doch vor dummdreisten Schwejkiaden regelmäßig kapitulieren mussten. Wie starben Werner Lamberz und Dean Reed? Wieso konnten wir einen einzelnen Wolf Biermann nicht ertragen und hierbehalten? Der tiefe Fall von O.F.Weidling und die ebenfalls ausreisenden Oldtimer von Manfred Krug. Alles wurde ausgewertet. Zuhören. Im Raucherzimmer der Hochschule, beim Trampen, vor dem Konzert, nach dem Konzert, beim Unterrichten, Malochern, SED-Funktionären, Stasispitzeln, Christenmenschen, Monarchisten, Anarchisten, Rockys, Jazzern, Jugendlichen, Alten und Kindern und Katzen und Spinnern. Damals, als ich noch Musiker war. Heute bin ich wieder Musiker, aber innen.
Wenn ich Bock hätte, depressiv zu werden, würde ich das jetzt direkt mal machen. Ich bin momentan wirklich jeden Tag einmal dankbar für meine robuste Grundausstattung. Ansonsten Vitamin C, Vitamin D, Atemübungen nachts um drei auf der Terasse, selbst hergestellte Artemisia Annua Tinktur, Johanniskraut Kapseln hochdosiert (ja, nur kurz und nur für die Balance). Aus Madagaskar brachte ich ein Limetten/ Honig/ Ingwer Rezept mit. Und ich halte mich möglichst fern von allen, die mir auf die Eier gehen wollen – auf alle 120000 oder wieviel ich davon nun noch habe. Und wenn an einem „meiner Orte“ auf einmal Birkenporling wächst, halte ich das immer noch für ein Zeichen, egal was irgendwer erzählt.
Der Tag ist nicht mehr fern, an dem unsere gesetzlichen Krankenkassen und unsere Gesundheitsversorgung, so wie wir sie kennen, Geschichte sind. Genaugenommen sind sie bereits Geschichte, nach allem was jetzt so gesagt und diskutiert werden darf. „Vermeidbare Krankheiten“ werden mindestens Selbstbeteiligung oder volle Kostenübernahme nach sich ziehen. Sag jetzt nicht, aber ich lebe doch ganz gesund, mir passiert doch nix. Wir werden wieder lernen, uns um uns und unsere Heilung selbst zu kümmern und Menschen zu finden, die uns beistehen. Und ansonsten haben wir entweder die Kohle für die Behandlung oder Glück im Unglück. In der Welt außerhalb Europas ist das eh Standard.