Die letzte Stunde im Oderbruch. Ich bin gestärkt und froh, daran ändert auch die Nebenkostenabrechnung nix. Gestern hatte ich dann endlich mal Ruhe, um mir Eugen Drewermanns Rede gegen den Krieg anzuhören. Findet man auf YouTube, ich verlinke mal lieber nicht. Aus Gründen. Meine Kollegin Heike singt grade wieder die alten Lieder von 89, kommt super gut an und ändern muss sie auch nichts. Ach ja. Die Stunde der Schwellenreiter und der von Macht besessenen und besoffenen aller Himmelsrichtungen.
Ich kann es ja aber eben auch nicht lassen: Telefonate wegen Delia’s Nachlass, Rundmails zum Gedenken und lange aufgeschobene Kontaktaufnahmen wegen meines Soundcollagen-Albums (der nächste Plan nach dem Akustik-Album, was wir grade mixen) und einer ev. Neuauflage von „LOHARANO – german malagasy song project“. Probenorganisation, Roadmanagement, Anfragen und Absagen und und und und. Und natürlich kümmert es mich, warum es der Oder so schlecht geht und warum unsere oberste Diplomatin Diplomatie für sinnlos hält. Naja. Mit dem Endsieg kennen wir uns ja aus.
Einzige Lösung für Arbeitsaufenthalte: digitale Endgeräte konsequent zuhause lassen und sich im absoluten Funk- und Netzloch einmieten. Oder doch noch zur superdisziplinierten, einzig ihrer Kunst verpflichteten Autistin, äh Künstlerin mutieren. Nein, ich finde das nicht doof – eigentlich bin ich neidisch. Könnte ein Plan fürs nächste Leben sein. Allerdings bin ich nicht 100% sicher, dass ich dazu nicht auch männlich sein muss. Ob’s mir das wert ist, hm.
So, jetzt hab ich erstmal eine warme Jacke und Emmas pinkfarbene Wollsocken angezogen. Bei frischen 21 Grad Außentemperatur ist es im Haus dann auch frisch. Allerdings hat die Sonne sich jetzt doch für Anwesenheit entschieden, ich werde mal eine Rahmentrommel-Übungseinheit einlegen und dann einen Spaziergang durch die Felder machen.
Schul- und Bethaus Altlangsow – Blick von der Empore in die große Ausstellungshalle
Trumpf No VII – Der Wagen. Die Transformation geschieht immer aus dem Innehalten, dem meditativen Empfangen heraus. Den richtigen Moment erfassen. Das ungestüm vorwärtsdrängende oder auch ängstlich zu lange abwartende EGO beiseite lassen. Sich der Führung anvertrauen. Ungeduld bewirkt da leider gar nix. Aber ja doch, das weiß ich. Wo doch immer alle denken, ich wäre sooo geduldig und täte den ganzen Tag so in mir ruhen. Wie sehr ich dafür empfänglich bin, die Bilder die andere Menschen von mir haben, in mein Selbstbild aufzunehmen – ach du ahnst es nicht. Phhhh. Dass ich angeblich fürs Bilder integrieren mehr oder weniger unempfindlich bin, gehört zu den Bildern. Ha. Ja DU, so jubelt mich manche(r) an, DU —- DU bist eben kompromisslos. Sag ich, nein: Ich tue die Dinge nicht so wie ich sie tue, weil ich kompromisslos bin. Ich tue sie so, weil ich es eben NICHT bin. Weil das gradeaus (auf dem Weg vor mir) und grade runter (in die Tiefe) bei mir bleiben mir sehr hilft, wenn ich anfange in fremden Bildern zu denken und zu fühlen – was ich gerne tue, um zu verstehen, was die andere Person bewegt. Weil ich gerne Impulse aufnehme und mich manchmal auch darin verliere. Weil meine Halteseile immer aus Zweifel UND Gewissheit bestehen. Weil ich kaum in der Lage bin, etwas oder jemanden ausschließlich gut oder böse zu finden. Und weil ich gnadenlos mitfühlend bin, wenn ich sehe, dass eine Person mit einer Situation noch schlechter zurecht kommt als ich. Das ist prima, weil ich dann helfen kann und das, wir wissen es alle, heilt den eigenen Schmerz in Lichtgeschwindigkeit. Und, nicht vergessen, wir leben in einer Welt, in der als clever und cool gilt, wer dem Rad des Schicksals in die Speichen greift. Egal wie schnell es sich dreht. Wie bekloppt.
Apfelbäume im Garten. Drei verschiedene Sorten, alle köstlich. Es lebe die Vielfalt! Das Spatzenvolk hockt in den angrenzenden Büschen und bearbeitet Spatzenthemen. Ich lese in einer Erstausgabe von „Der Meister und Margarita“ aus der gut ausgestatteten Bibliothek hier im Haus – immer wieder erstaunlich, der Russe Bulgakow schrieb den Roman von 1928 bis 1940. Wieviel Witz und Klarheit es doch in einer Diktatur geben kann. In der DDR verglichen wir natürlich Stalins Überwachungsstaat mit dem unseren. Ein natürlich unzulässiger Vergleich. Ein Freund nannte in den 90ern seinen Kater Behemoth. Behemoth ging jeden Tag die 5 Stufen des Souterrains hinauf in den Garten, setzte sich unter eine Babyfichte und meditierte. Nach einer Stunde kam er wieder herein. Allerdings lief er nicht auf den Hinterbeinen wie der Romankater und war auch nicht der Gehilfe von Professor Voland (dem Teufel) und hatte auch sonst wenig Ähnlichkeit mit dem Kater im Buch. Ziemlich sinnlos also, die Namensgebung. Naja. Obwohl.
Ich spiele Rahmentrommel, hier in dem großen Raum mit Tonnengewölbe aus Holz klingt es natürlich genial! Obwohl ich die Hälfte vergessen bzw. auf der Reise verloren habe, konnte ich doch mein Miniaturstudio in Gang bringen und nehme immer mal was auf. Das Haus ist kühl, obwohl draußen immer noch 29 Grad sind und das versprochene Gewitter sich ziert.
Nichts. Ab und an ein Auto, die Post. Ein bellender Hund. Ein Nachbar, der (leise) Radio hört. Ein Hahn. Ich singe.
So langsam ziehe ich mich wieder heraus aus dem tiefen Grün. Zuhause wartet mein Soloalbum, Bilder sind zu bearbeiten, und ja die Steuererklärung und mich immer wieder lange genug öffnen, damit eine Melodie ein Text ein Bild ein Wort zu mir durchkommen können. Das nennt sich Kreativität, glaub ich. Eher ein Zulassen.
Wie lang und dunkel der Schatten war, über den du jedes Mal gesprungen bist, wenn du mir nahe sein wolltest – was weiss ich denn schon. Danke.
Habe geduscht, Haare gewaschen, Kopf und Körper eingeölt, gewartet bis das Öl eingezogen ist. Dann eine kleine Runde gefahren und den Tälerpilgerweg/ Pillingsdorf entdeckt. Erst vorgestern ging mir auf, dass ich nur 10 Kilometer von Delias Geburts-, Kinder- und Jugendort entfernt bin. Nun sitze ich im McDonalds im Autohof Hermsdorf – hier gibt es 3 Stunden Internet für lau, äh für meine Daten, und vor allem Strom für mein armes altes iPad. Und MangoAnanasSmoothie. Zum Weinen ist mir nicht, ich habe vor 24 Jahren allerdings viel geweint. Um mich, um sie und eine grosse Liebe. War gut, jetzt die paar Tage in grüner Einsamkeit zu verbringen, den Bildern zu erlauben, zu kommen und zu gehen, zu träumen und zu trauern und die Lehren zu empfangen, die der Tod immer dabei hat. Alter Schmerz ist nur dann Teil meiner Identität, wenn ich ihn einlade, es zu sein. In jedem Moment der Zeit kann ich neu anfangen.
Auf in die Gegenwart, das lebendige Jetzt und die Musik von morgen!
Am nächsten Wochenende spiele ich mit meinem alten Weggefährten, dem Lyriker und Textautor Andreas Reimann in Wurzen zum Ringelnatzsommer – zwei (verschiedenene!) Lesungen mit Musik am Samstag, 6.8. um 15.00 und am Samstag, 6.8. um 17.00 – ich freue mich sehr darauf! Im vorigen Jahr saß ich da so rum, dachte über mein Bühnenjubiläum nach und sah vor mir, wie wir uns auf seiner Beerdigung wiedersehen, er die Augenbraue hochzieht und fragt, warum wir nun eigentlich in diesem Leben nix mehr zusammen gemacht haben. Flugs schrieb ich eine Mail, die erfreut beantwortet wurde und: da sind wir!
Ingeborg Freytag – Foto von Eckhard IschebeckAndreas Reimann
Und am Sonntag, dem 7.8. präsentieren Maria Schüritz und ich unser Livehörspiel „Zwischenwelten“ zum Knallbrausefestival in Leipzig. Das Festival läuft von Donnerstag bis Sonntag und wir haben die Ehre und das Vergnügen, das ganze mit unserem maximal energetisch komprimierten Mix aus Instant Compositions, Texten und festen Songstrukturen krönend abzuschließen. Das Festival wird organisiert vom Ensemble Jedermensch, schöne und sehr empfehlenswerte Initiative.
Heimgekehrt vom superschönen und anstrengenden Rudolstadtfestival und unserer kleinen HummingTreesOstseeKurzTournee war ich inzwischen schon wieder Gast bei Maria‘s neuem Album und habe auch meine Rahmentrommelübungen wieder aufgenommen.
Am 2. August werde ich ein Live-Solo-Album einspielen. Am Abend findet die Abschiedsfeier für meine ehemalige Gefährtin Delia statt. Und ausserdem habe ich Geburtstag. Was das Leben so manchmal veranstaltet. Das gibts in keinem Russenfilm. Das Gute ist, ich habe keine Zeit für Krieg und andere Dummheiten. Das Thema mit dem grossen C macht auch nicht kreativ, jedenfalls nicht in grösseren Zusammenhängen. Ham wer in der DDR immer versucht zu vermeiden, das sich Reinziehenlassen in das tagespolitische KleinKlein. Das KleinKlein der grössten DDR der Welt, phhh. “SchwarzRotGold ist das System, morgen wird es untergehn!“ Hätten wir es mal richtig gemacht. Ich bin trotzdem unendlich dankbar für diese radikale Demokratieerfahrung und den grossen Aufbruch, mit dem wir unser Land verändern wollten. Zumindest bis zur Maueröffnung. Alles schien möglich und ich denke, so war es auch. Alles war möglich. Ich denke, wir sollten Mut fassen. Es muss doch möglich sein, den 273 Männern, denen wir aus Versehen diesen Planeten überlassen haben, denselben wieder wegzunehmen. Oder?
Mich beschäftigen die Möglichkeiten oder auch Unmöglichkeiten, mich zu beteiligen an dem was geschieht. In a good way. Wenn ein Song die Wahrnehmung verändert, verändert er die Welt. Das ist wohl so. Auch wenn viele was anderes behaupten und/ oder glauben.
Foto von Eckhart Ischebeck
„Im Schatten der Zeit – unserer Zeit – leben wir Menschen. Alle. Jeder im Schatten der seinen. Sich dessen bewusst zu werden und herauszufinden, wie und wo man in der Lage sein könnte, oder sein müsste, diesen Schatten aufzuheben, um in das Licht des Erkennens, gar der Erkenntnis zu geraten, will mir als eine der Sinnhaftigkeiten unseres Erdenlebens erscheinen. Aber auch als eine, die wir gern und zu allen Zeiten mit Gedankenlosigkeit zuschütten.“ Erika Pluhar (Schauspielerin, Sängerin, Autorin)
Wo ist ein Bob Dylan, eine Joan Baez, wo ist ein Willy Brandt, ein Stanislaw Petrow, wo sind die, die zum Frieden raten und Frieden stiften, vom Frieden singen und uns erinnern.
„Wo sind sie geblieben, was denken sie heute, die da schworen vor 40 Jahrn: Nie wieder fassen wir Waffen an, lieber trocken Brot unser Leben lang.“ Das schrieb ich als Text (und Musik) in einen Song 1989, nachdem ein junger Mann bei einem Manöver mitten im „Frieden“ von einem Panzer überrollt wurde und starb. Ach eigentlich will ich nicht mehr reden. Zumindest heute nicht. Morgen fahre ich zum Rudolstadtfestival. MusikMusikMusikMusik. Auch da werden sich Fenster öffnen. Ja.
Es hat natürlich auch ein Datum. Am 7. 7. 1972, mit 6 Jahren und 11 Monaten, hatte ich meinen ersten großen Auftritt als Solistin, beim Pressefest in Gera. Pressefeste waren alljährlich stattfindende und für damalige Verhältnisse gigantische Freiluftveranstaltungen mit vielen KünstlerInnen und den damals noch üblichen großen Orchestern bzw. Bigbands. Ich stehe da mit dem „Großen Unterhaltungsorchester Halle“ unter Erich Donnerhack. Er war selbst Geiger und gründete nach dem Krieg und seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft zunächst in Leipzig das „Rundfunk-Unterhaltungs-Orchester Erich Donnerhack“, in dessen Konzerten z.B. Heinz Quermann, Lutz Jahoda und Fred Frohberg ihre Karriere begannen.
Mein Vater Wolfgang war von 1967 bis 1970 Solobratscher bei Donnerhack im Hallenser Orchester. So gab es den Kontakt und er schlug der Konzert- und Gastspieldirektion Gera (der staatlichen Künstlervermittlung) meinen Auftritt vor.
Natürlich (!) war ich gebrieft, dass das natürlich (!) trotz der Country-Attitüde kein „Cowboylied“ ist, wie ich es dem Redakteur der Zeitung „Volkswacht“ sagte (von wegen westlicher Kultur und Dekadenz). Aber ich war ja noch nicht mal sieben und so gab es nur einen kurzen und folgenlosen Wirbel deswegen. Ach ja, das waren Zeiten.
Eins meiner Lieblingsstücke aus diesen Tagen ist das Andantino aus „Bilder der Kindheit“ des sowjetisch-armenischen Komponisten Aram Chatschaturjan. Das ist der mit dem Säbeltanz (aus dem Ballett „Gayaneh“). Gabs dann später nochmal in Kubricks „Odyssee im Weltraum“. Vielleicht wurzelt meine Verbundenheit mit der Musik des Kaukasus in diesem Klavierstück von einem Mann, der selbst mit georgischer, armenischer und aserbaidschanischer Musik aufwuchs. Wer weiß. Die Formalismus-Anklage (antisowjetische Tendenzen in seinen Kompositionen) blieb ihm nicht erspart. Die Leute, die ihm (und Schostakowitsch und Prokowjew und und) das vorgeworfen haben, sind heute zu Recht vergessen.
Kürzlich durfte Schostakowitschs „Leningrader Sinfonie“ nicht aufgeführt werden. Musik von einem Russen. Phhhh. Grade denke ich, ob Vergessen nicht auch eine gute Strategie ist. Davor haben die Kriegstreiber, Spalter, Todessüchtigen und Machtbesessenen dieses Planeten mit Sicherheit die meiste Angst. Dass sich niemand ihrer erinnern wird.
Aus meiner Sicht hat das mit der großen künstlerischen Laufbahn durchaus funktioniert. Ich habe soviel gemacht in den letzten 50 Jahren, wenn ich drüber nachdenke, kann ich es selbst kaum glauben.
Am 7. 7. 2022 reise ich zum Rudolstadtfestival, gebe am 8. einen Bodymusic-Workshop und spiele das ganze Wochenende mit der Folkstanzjubelband zum Tanz. Neben unfassbar vielen anderen Projekten, die rund um dieses Datum auch eine Rolle hätten spielen können, finde ich die Auswahl, die das Schicksal für mich getroffen hat, absolut angemessen.
Und aus der Rubrik „Musik und Politik“ – Ingeborg und die FRIEDENSSTATUE.